Die “Konservativen” und die “Neuerer” in der Palaiologenzeit

Georgi Kapriev

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Eine Grundthese meines Morphomata-Projekts (1054-1204: die Umprägung des byzantinischen Kulturraums)[1] lautet, dass die zwischen 1054 und 1204 verwirklichte Umprägung und Neuprägung von Kulturformen fundamental auch die Kultursituation nach dem Fall Konstantinopels im Jahre 1204 bestimmte und bis zum Ende der eigentlich byzantinischen Zeit gültig blieb. Sie sollte dann freilich unter dem Druck eines kulturellen Traumas funktionieren und wurde kraft dessen durch einige neue Kulturmorphomata ergänzt. Die These lautet also, dass die Paläologienzeit keine neue Kulturstruktur entwickelte, sondern die im 11. und 12. Jahrhundert errichtete in einer neuen Situation fortführte. Der Drehpunkt meiner heutigen Überlegung besteht gerade darin, diese neuen formatierenden Formen zu deuten. Sie stellt also eine Art „Selbstkritik“ dar, die untersuchen soll, inwieweit die kraft der kulturell-traumatischen Situation entstandenen neuen Phänomene die Kulturstruktur durchmodifizierten und ob sie diese generell änderten.

Die durch das „Desaster von 1204“[2] hervorgebrachte Evidenz des Auseinanderfalls der christlichen Ökumene forderte die Stiftung von kulturellen Kompensationsmechanismen. Die Plünderung und Schändung von Konstantinopel im April 1204 durch die lateinischen Truppen des vierten Kreuzzuges stellte mit endgültiger Schärfe die Frage nach der Umdeutung der Idee von der universellen christlichen Kulturwelt. Byzanz sagte sich eigentlich nie von dem römischen Ideal eines Weltimperiums los, das unumgänglich als christlich fundiert konzipiert wurde. Die bis zum Ende vertretene selbstgefällige Behauptung, dass der byzantinische Kaiser zumindest nominell immer noch das Haupt der ganzen christlichen Welt sei, steht im krassen Gegensatz zum tatsächlichen Zerfall der von einem Kaiser und einem (der Würde nach ersten) Patriarchen verwalteten Ökumene. Nach 1204 repräsentierte das Reich politisch nicht mehr den Osten schlechthin, sondern wurde vielmehr zu einem Regionalstaat, indem es immer mehr auf ethnisch griechisch dominierte Territorien reduziert wurde. Am Ende des 14. Jahrhunderts bestand schließlich das byzantinische Imperium aus Konstantinopel selbst sowie aus einigen Seehäfen an der Balkan-Küste, einigen Insel im Ägäischen Meer und der Peloponnes. Vor diesem Hintergrund etablierte sich eine Tendenz, die spätestens seit Anfang des 13. Jahrhunderts auf den Plan getreten war. Es handelt sich um die Anfänge des griechischen bzw. hellenischen Kulturpatriotismus.

Für die Rhomäer, d.h. für die christlichen Staatsbürger des Östlichen römischen Reiches, bedeutete das Wort „Hellene“ an erster Stelle „Heide“, und „Hellas“ war nicht mehr als der geographische Name einer Verwaltungsregion des Reiches. Die westlichen Versuche, die Rhomäer als „Hellenen“ und ihren Basileus als „König der Hellenen“ zu behandeln, hatten in den vergangenen Jahrhunderten (wie etwa der Fall mit Liutprand von Cremona beweist) immer ein dramatisches Ende gefunden. Gerade im 13. Jhdt etablierte sich bereits eine Einstellung, und wurde aus verschiedenen Perspektiven vertreten, deren Befürworter als eigentliche Tradition des Reiches ausgerechnet das hellenische Erbe reklamierten. In der Parole „Wir sind Griechen dem Ethnos und der Kultur nach“ bestand der gemeinsame Nenner, auf den man die Positionen sowohl von offenen Antilateinern (wie Plethon) als auch von braven Prolateinern (wie etwa den Gebrüdern Kydones und ihrem Umkreis) als miteinander übereinstimmend bringen kann.

Auch die beiden genannten Positionen gründeten auf einem neu stilisierten und instrumentalisierten Hellenismus. Die Linie, die etwa mit Theodoros II. Laskaris einsetzte und bei Plethon gipfelte, empfahl sich als Rekultivation einer ursprünglichen Tradition, die als die Quelle der eigentlichen Identität des hellenischen Geistes gedeutet wurde. Eigentlich ging es um eine innovative Doktrin, die als ein „Sanierungsprogramm“ der Gesellschaft und der Denkweise angepriesen wurde, während ihre Opponenten sie als gefährliche Neuerung einschätzten. Die Vorkämpfer der prolateinischen Kulturrichtung (und an erster Stelle die Vertreter des 1354 erklärten byzantinischen Thomismus) betrachteten ihrerseits die abendländische „Wiederbelebung“ der Antike nicht in ihrem eigentlichen Kern, d.h. in ihrer instrumentalen Funktionalisierung zugunsten der Scholastik oder der Renaissancekultur, sondern als eine Rückkehr zur authentischen Gestallt des Hellenischen, die sie auf ihre Weise weiterstilisierten.

Die Behauptung jedoch, dass die Kultur dieser Zeit, die man pauschal als „paläologische Renaissance“ bezeichnet, essentiell hellenisch war[3], ist durchaus falsch. Die Epoche war nicht restlos durch diese Strömung geprägt, und in der Perspektive der geschichtlichen Pragmatik erwies sich ihr Gegenstrom als effizienter. Die Parole der anderen Strömung postulierte die Unterordnung des Ethnischen unter das Genos: das „Geschlecht der Christen“ sollte nach wie vor die ethnischen Bestimmungen aufheben. Darin bestand der Kernpunkt eines Programms, das das Fundament der „Konservativen“ bildete. Sie standen für die Ökumene und den römisch-christlichen Universalismus ein und strebten danach, die um das Neue Rom zentrierte christliche Gemeinschaft samt ihrer Multiethnizität zu bewahren. Sie betrachteten das Beharren auf der Stufe des Ethnischen als Dekadenz. Diese konservative Grundhaltung bedeutete aber nicht ein restloses Festhalten an bereits traditionellen Sozial- und Kulturphänomenen.

Es ist auch hier zu betonen, dass die sog. „paläologische Renaissance“ eine permanente Krisenzeit war. Die Krise umfasste alle Dimensionen des sozialen Lebens und motivierte eine weitgehende Identitätskrise: Auch für die heftigsten Traditionalisten war die christliche Ökumene bereits ein Ideal, das kein Äquivalent in der Realität mehr hatte. Die mehrfach bewunderte intellektuelle Blüte dieser Periode ist auch als Ergebnis der hektischen Überproduktion von Entwürfen zu betrachten, die auf eine Neukonstruktion oder aber auf eine innovative Rekonstruktion des rhomäischen kulturellen Ganzen abzielten[4]. Alle Autoren waren dabei sich bewusst, dass eine Wiederherstellung der vor 1204 funktionierenden Kultursituation definitiv unmöglich war. Aus diesem Grund entstanden neue Fragestellungen, neue Themen, neue Verfahren und Lösungen. Ich möchte diesen Sachverhalt durch eine angeblich nebensächliche Streitfrage, nämlich durch die Frage nach der Stellung der Syllogistik in der theologischen Problematik und nach der Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit eines apodiktischen Syllogismus in Rücksicht auf das Göttliche illustrieren. Es ist zu betonen, dass es hier nicht um die Möglichkeit geht, Gottesbeweise überhaupt zu zu führen. Trotz der Meinung gewisser heutiger orthodoxer Theologen bestand eine Tradition der pädagogisch ausgerichteten Gottesbeweise spätestens seit Johannes Damaskenos und Photios von Konstantinopel[5]. Es wird nun gefragt, ob man auch in diesem Bereich logische Beweise zu entwickeln vermag, deren Schlüsse zwingende Gültigkeit haben können.

Die aristotelische Syllogistik betrachtete man in der ganzen byzantinischen Zeit als ein treffliches Instrument der Philosophie. Aus dieser Perspektive muss man die relativ große Zahl der Kommentare über das aristotelische Organon betrachten. Vor demselben Hintergrund spricht im 9. Jhdt. der Patriarch Photios von einer „untergeordneten“ Philosophie, die von der ersten Philosophie unterschieden und als ein technisches Mittel der spekulativen Theologie behandelt wird, wobei die Betonung auf der Dialektik und der Logik liegt. Zugleich damit wurde ständig die Frage gestellt, ob die Dialektik im Bereich des rein Theologischen überhaupt zulässig ist. Noch die Kappadokier spracheen in dieser Hinsicht vpn der „übelstiftenden Syllogistik des Aristoteles“. Damaskenos betrachtete die Logik als Werkzeug der Philosophie, wobei er bei seinen spekulativ-theologischen Abhandlungen selbst die aristotelische Logik durch die Perspektive der christlichen Lehre deutete. Er bestand allerdings darauf, dass die Dialektik zur Widerlegung der Gegner und des falschen Wissens benutzt werden kann und soll, wogegen die Wahrheit an und für sich keine Syllogistik und keine Beweise benötigt[6].

Es gibt Autoren, die in dieser Hinsicht noch weiter gingen. Als paradigmatisch ist hier die Position des Michael Psellos zu erwähnen, wonach das logische Schlussfolgern der Wahrheit keinesfalls mit der christlichen Lehre in Konflikt kommt, wie auch diejenige des Johannes Italos, der die dialektische Syllogistik als das unumgängliche Mittel für die Erkenntnis aller theologischen Bereiche betrachtete.

Der Stifter des byzantinischen Thomismus, Demetrios Kydones (1324-1398), der die legitime Stellung der Syllogistik in der Theologie mehrfach begründet, lehnt die Möglichkeit ab, die Glaubenswahrheiten der Trinität und Inkarnation aus den geschöpflichen Prinzipien beweisen zu können. Ansonsten wendet er sich gegen die generalisierende These Barlaams von Kalabrien (1290-1350) und behauptet, dass apodiktische Syllogismen für die Gottheit möglich sind. Er erklärt zwar, dass es über das Göttliche keine Apodeixis gibt, insofern damit eine Erkenntnis aus den eigentlichen und ersten Prinzipien der Gottheit gemeint ist. Zugleich damit aber insistiert er darauf, dass selbst angesichts der trinitarischen Verhältnisse ein apodiktisches Beweisverfahren legitim ist, weil ein Mittelbegriff sich nicht immer zur Schlußfolgerung verhalten muss wie eine natürliche Ursache, so dass er auch aus der Reihe der Verursachten genommen werden kann, die uns einsichtiger sind.

Die Tatsache, dass Gott weder einem Genus angehört noch irgendeinem Höheren (prÒteron) unterstellt werden kann, so bemerkt Demetrios, bildet kein Hindernis für eine Apodeixis. Viele Begriffe werden, führt Demetrios die scholastische Transzendentalienlehre ein, von uns in einer weiteren Bedeutung gedacht als Gott: das Seiende (tÕ Ôn), das Eine (tÕ ›n), das Gute (tÕ ¢gaqÒn), das Wahre (tÕ ¢lhqšj), die in Gott real enthalten, in unserem Denken aber mit ihm nicht konvertibel sind. Wir können dennoch über sie Aussagen machen, die zwingend auf Gott zu übertragen sind. Es ist daher genauso legitim, die Transzendentalien als prÒtera in den Beweis einzubringen, wie die Anwendung des Identitäts- oder Kontradiktionsprinzips. Ein derartiger Beweis kann als theologisch bezeichnet werden, sobald die kontingenten Begriffe von ihrer kontingenten Existenzweise abgelöst sind.

Selbst der dialektische Beweis ist uns jedoch auch als Gottesgabe geschenkt, um die erste Wahrheit zu suchen und zu finden. Damit verbindet Demetrios seine Überzeugung, dass Gott keine Kollision zwischen Offenbarung und Natur gewollt haben kann. Der Einklang zwischen Vernunft und Glaube ist für Demetrios Kydones ein Argument für den Gebrauch des dialektischen Syllogismus in der theologischen Diskussion, wenn man dabei von theologischen Prinzipien ausgeht. Sein Bruder Prochoros (1333-1370) schrieb sogar eine ganze Schrift über die Verwendung des Syllogismus in der Theologie.

Neilos Kabasilas (±1300–±1363), seit 1361 Metropolit von Thessalonike, wurde der erste byzantinische Autor, der mit einer systematischen Kenntnis der thomi­stischen Theologie und in Bezug auf sie den Palamismus verteidigte, wobei er die lateinischen Lehrmeinungen bekämpfte. In der me­thodologischen Einleitung seiner Hauptschrift Über den Hervorgang des Heiligen Geistes gegen die Lateiner, die sich als unmittelbares Ziel die Widerlegung der lateinischen Art zu theologisieren und des entsprechenden Theologiebegriffs stellt, erklärt sich Kabasilas gegen die schola­stische Methode, die er mit dem Thomismus identifiziert. Gegen die These des Demetrios Kydones, der darauf besteht, dass die Theologie eine unaufhörliche Suche nach der vollkommenen Wahrheit über die Gottheit seitens der von der göttlichen Gnade geleiteten Vernunft ist, erläutert Kabasilas, dass die theologi­schen Dogmen bedingungslos vorgegeben sind und die ganze Arbeit der Theo­logen sich daraufbeschränkt, diese richtig anzuwenden und sie im Gegensatz zu al­len möglichen Neuerungen zu erörtern, die den Anspruch erheben, theologisch wahr zu sein. Es kann keine Definition von Gott wie auch keine Wissenschaft bestehen, die Gott zu ihrem eigentlichen Forschungsgegenstand hat. Scharf verwirft Kabasilas das syllogistische Argumentieren in bezug auf den Heiligen Geist und die Identifizierung von Wesenheit und Energie Gottes. Die Syllogistik in der Theologie wird mit dem Zeugnis des Blinden über die Farben verglichen. Ihre Anwendung im Bereich der Trinitätsproblematik wird als sinnlos bestimmt. An­gesicht der syllogistischen Verfahren fühlt sich Kabasilas provoziert, eine ad­äquate theologische Methode zu formulieren. Über Gott an sich kann der Mensch – so insistiert Kabasilas – absolut nichts sagen. Diskursive Äußerungen sind nur über das möglich, was ‚um Gott herum‘ ist. Er stützt sich sogar auf den ersten Brief des Barlaam an Palamas, um die Unmöglichkeit der apodiktischen und die Zulässigkeit einzig der dialektischen Syllogismen in bezug auf die Trini­tät zu begründen. Aus diesem Grunde benutzt er die Syllogistik nicht positiv, sondern nur um der Widerlegung der kritisierten Argumentation willen. Auf diese Weise vertritt Neilos vielmehr die Position Barlaams und erklärt sich übrigens auch gegen die Position des Palamas, dessen Anhänger er allerdings nach 1341 war, indem er zusammen mit Philotheos Kokkinos das autoritativste Dokument des palamitischen Hesychasmus – den Synodaltomos von 1351 – verfasste.

Gregorios Palamas (1296-1357) setzt sich explizit zum Ziel, nicht nur ein In­diz (tekm»rion), sondern auch einen Beweis (¢pÒdeixij) für die von ihm ver­kündete Wahrheit zu liefern. Er will sie nicht nur zeigen und auslegen, sondern auch erforschen und beweisen[7]. Dieser Anspruch stellt die Frage nach der Art seines Beweisverfahrens, die am deutlichsten in seiner Auffassung des „apodiktischen Syllogismus“ zutage tritt[8].

Palamas akzeptiert die von Barlaam aufgestellten formalen Vorbedingungen eines apodiktischen Syllogismus, die auf der aristotelischen Logik begründet sind. Barlaam von Seminaria (1290–1350), Grieche aus Kalabrien, kam 1327 nach Kon­stantinopel und machte sofort Eindruck mit seiner hohen philosophischen Schu­lung. Der belesene Mönch wurde zur Teilnahme am gelehrten Kreis um den da­maligen Megas Domestikos Johannes Kantakuzenos herangezogen und erwies sich als tiefschürfender Kommentator des Corpus Areopagiticum. Im Auftrag Kai­sers Andronikos’ III. disputierte er 1334 auf effektvolle Weise mit den do­minikanischen Theologen Francesco da Camerino und Richard von England, die als päpstliche Legaten in Konstantinopel weilten. Barlaam wurde 1339 nach Avignon geschickt, um mit Papst Benedikt XII. (1334–1342) zu verhandeln. Barlaam ist Autor von 21 antilateinischen Traktaten, in denen er eine scharf negative Stellung zur Doktrin des Thomas von Aquin bezog. Seine Angriffe gegen die lateinische Auffassung über den Hervorgang des Heiligen Geistes führt Barlaam von einer Perspektive durch, der mehrere byzan­tinische Intellektuelle nahe standen. Neu ist die Rigidität, mit der Barlaam die aristotelische Erkenntnistheorie auf theologische Schlüsse bezieht. Er lehnt radi­kal jegliche Möglichkeit ab, die innertrinitarischen Beziehungen und die absolut unerkennbare Wesenheit Gottes rational zu formulieren. Der Vernunft ist Gott an sich unfassbar. Deswegen kann auch der Hervorgang des Heiligen Geis­tes ex patre filioque nicht durch apodiktische Syllogismen bewiesen werden. Freilich ist auch die Gegenposition nicht streng beweisbar. In solchen Fällen ist die Heilige Schrift als die maßgebliche Quelle zu betrachten. Deswegen sollen die Lateiner im Namen des Kirchenfriedens von ihrer Formulierung zurücktreten. Die These Barlaams gegen die lateinischen Theologen lautet, dass ihre Sätze weder auf apodiktischen noch auf dialektischen Syllogismen gründen. Es kann einerseits keine apodiktischen Beweise für Gott geben, und ihre Syllogismen kön­nen andererseits keinen dialektischen Charakter haben, weil die Prämissen von den östlichen Theologen nicht anerkannt werden. Er erklärt generell, dass in bezug auf das Göttliche dialektische, nicht aber apodiktische Syllogismen möglich sind, die nur im Bereich des Kontingenten Anwendung finden können. Seine Auffassung über den dialektischen Syllogismus weicht zwar von der aristoteli­schen ab, insoweit Barlaam biblische Sätze und approbierte Meinungen der antiken Philosophen über die erschaffene Welt als legitime Prämissen eines solchen Syllogismus akzeptiert. Sein Begriff von dem apodiktischen Syllogismus ist je­doch streng aristotelisch. Barlaam erhebt eine Reihe Forderungen an die ¢pÒdeixij im eigentlichen Sinn des Begriffs. An erster Stelle weist er darauf hin, dass das erste Prinzip nicht zu beweisen ist, weil die Prämissen des apodiktischen Syllogismus eine natürliche Priorität vor dem Schluss haben müssen. Es gibt aber keine Prämissen, die ihrer Natur nach eine Priorität vor der göttlichen Wahrheit haben. Die Prämissen des apodiktischen Syllogismus äußern dabei Dinge, die von derselben Gattung wie das Subjekt des Schlusses sind. Gott gehört aber nicht zu der Gattung der Schöpfung. Barlaam betont besonders aktiv, dass die Prämissen des apodiktischen Syllogismus sich auf die Ursachen ihrer Schlüsse beziehen müssen, weil der Schluss die Wesenheit des Subjekts bezeichnen soll. Keine menschliche Vernunft ist aber imstande, in einen Bezug zu den Ursachen der trinitarischen Wirklichkeit zu kommen, und die göttliche Wesenheit bleibt absolut unerkennbar. Die Grundlage dieser entscheidenden Forderung ist der authentisch aristotelische Lehrsatz von der Identität der Wesenheit und der Exi­stenz des Seienden. Barlaam stützt sich sowohl hier als auch bei allen anderen Gelegenheiten vor allem auf die aristotelische Logik und auf die negative Theologie des Dionysios Pseudo-Areopagita, die er verabsolutiert und zu einem „dogmatischen Relati­vismus“ umbildet.

Palamas verwirft die barlaamitische These, die apodiktischen Schlüsse seien in bezug auf Gott unmöglich, indem er auf einige Hauptpunkte hinweist. Zunächst macht er darauf aufmerksam, dass nach Aristoteles die Prämissen des apodiktischen Syl­logismus wahr sind, während die Prämissen des dialektischen Syllogismus le­diglich eine allgemeine Akzeptanz voraussetzen und also bloß wahrscheinlich sein können. Die Argumente der christlichen Theologie stützen sich aber auf notwendige und unveränderliche Prinzipien, weil sie von Gott der Kirche und den Kirchenvätern geoffenbart sind[9]. Wieder Aristoteles zufolge sind die apo­diktischen Syllogismen die einzigen, die ein sicheres Wissen verleihen. Wären die theologischen Syllogismen dialektisch, würden sie nicht mehr als eine Über­zeugungsrede darstellen[10]. Aristoteles erklärt noch, dass apodiktische Syllogis­men nur in bezug auf Allgemeines möglich sind, weil ein sicheres Wissen ledig­lich über das Allgemeine zu erlangen ist. Die Syllogismen in bezug auf Gott schließen aber nicht schlicht auf ein anonymes Einzelnes, sondern auf das Ein­zelne, das zugleich damit das absolut Allgemeine und die Quelle von allem All­gemeinen ist. Palamas fügt hinzu, dass man aus diesem Grund auch über eine Subordination der Begriffe dem Umfang nach nicht sprechen darf, weil alle Ter­mini die göttlichen Energien ausdrücken, die durch dieselbe allgemeine Einzig­keit gekennzeichnet sind[11]. Er insistiert weiterhin darauf, dass gemäß Aristoteles keine Be­weise für vergängliche Sachen zulässig sind, sondern nur für das Ewige und Notwendige. Im strengen Sinn des Wortes gibt es also apodiktische Syllogismen nur in bezug auf den Schöpfer, der ewig und unveränderlich ist[12]. Darüber hin­aus ist zu bemerken, dass gerade weil Gott ewig ist, keine Ursache der göttlichen Natur vorausgehen kann[13]. Es ist festzustellen, dass Palamas an einigen Punkten von der Syllogismus-Lehre des Aristoteles abweicht. Aristoteles zufolge sind die ersten Prinzipien nicht zu beweisen. In seiner Deutung insistiert Palamas ferner darauf, dass Vorstellungen in den Syllogismen über das Universale, nicht aber in den Syllogismen über Gott eingeschlossen werden dürfen, wobei die Vorstellun­gen, auf denen die Syllogismen in bezug auf das Universale gründen, nicht legi­tim sind, weil sie eine Induktion voraussetzen. Das fällt mit der Meinung des Aristoteles jedoch nicht zusammen. Palamas erklärt noch, dass Syllogismen in bezug auf das Vergängliche nicht möglich sind, weil in diesem Fall Aristoteles die einzelnen Dinge meint, nicht aber die Gattungen und die Arten, die ihm gemäß allgemein und unveränderlich sind[14].

Es ist festzustellen, dass die erwähnten Abweichungen von der aristoteli­schen Doktrin die allgemeine christliche Weltanschauung und die palamitische Lehre von der Struktur der menschlichen Erkenntnis zum Grund haben. Der entscheidende Drehpunkt entspringt aber der Hauptposition des Palamas, die das Zentrum seines Systems bildet. Der Schwerpunkt des Palamas in der Diskus­sion über den Charakter des theologischen Syllogismus lautet, dass während die Wesenheit Gottes unerkennbar bleibt, seine Existenz und Einzigkeit mit not­wendiger Gültigkeit beweisbar sind[15].

Das metaphysische Fundament der aristotelischen Syllogistik ist die Un­differenziertheit zwischen Sein und Existenz. Der ganze Bestand des Seienden ist auf der Wesenheit gegründet. Die Wesenheit bestimmt das Sein des Seienden, bringt seine seinsmäßige Selbständigkeit hervor und ergibt damit seine Existenz. Die von der Wesenheit bedingte Einheit von Wesenheit, Sein und Existenz definiert das Seiende als „selbständig existierende Sache“. Der Syllogismus soll das Sein der Sache aufklären. Der logische Schluss ist eine erweiterte Explikation der Wesenheit und des Seins der Sache. Der metaphysische Grund bei Palamas sieht anders aus. Einer Teilhabe inklusive einer Erkenntnisteilhabe ist nicht die We­senheit zugänglich, sondern die Seinswirkung der Wesenheit oder ihre existenti­elle Energie. Diese Unterscheidung ist für jegliches Seiende gültig. Was Gott be­trifft, so sind zunächst seine Seiendheit (ÑntÒthj) und dann das Leben, die Gutheit, die Weisheit, die Vorsehung, der Wille und das denen Ähnliche teilhaf­tig[16]. Diese Energien sind die Äußerung der Wesenheit ad extra und also vom menschlichen Intellekt erkennbar. Sie machen auch die Erkenntnis durch die Syl­logistik möglich und bilden den Inhalt der Präpositionen. Es geht also um die Existenz, deren Prinzip zwar die Wesenheit ist, die dennoch von der Existenz wirklich zu unterscheiden ist. Die Energien sind nicht die Wesenheit an sich, aber sie drücken die Wesenheit in ihrer Wirklichkeit aus, weil sie wesenhaft und auf die Wesenheit bezogen sind[17]. Vor diesem Hintergrund wird es klar, dass eine „antilogische“ Haltung im Fall Palamas nur dann zu behaupten ist, wenn man die Logik überhaupt mit der aristotelischen Metaphysik unerbittlich verbindet.

Auf die Erkenntnislehre des Palamas ist auch seine These bezogen, dass die allgemeinen Begriffe (koinaˆ œnnoiai) und die Axiome (¢xièmata) des theolo­gischen apodiktischen Syllogismus sich ihrem Ursprung nach streng von den opiniones communes der dialektischen Argumentation unterscheiden. Die dia­lektischen „allgemeinen Begriffe“ sind Erzeugnisse der menschlichen Vernunft. Der Ausgangspunkt und die ersten Prämissen des theologischen apodiktischen Syllogismus dürfen laut Palamas lediglich die an sich glaubhaften und uner­weislichen Prinzipien (aÙtÒpistoi kaˆ ¢napÒdeiktoi ¢rca…) der Heiligen Schrift, der Dogmen des christlichen Glaubens und der entsprechenden Sätze der Kirchenväter sein, von denen zwingende Folgerungen abgeleitet werden können[18]. Vom Standpunkte der scholastischen Theologie kann es widersprüch­lich erscheinen, dass Palamas seine theologische Syllogistik als „Apodeixis“ be­zeichnet, abgesehen davon, dass er ihre absolute Geltung sich nur auf die Gläubi­gen erstrecken läßt, wobei er die Behauptung Barlaams verwirft, dies hebe ihre Gültigkeit auf[19]. Das trifft Palamas jedoch nicht. Für ihn sind Atheismus und Unvernünftigkeit bzw. atheistisch (¢qeètatoj) und unvernünftig (¢fronš­statoj) zu sein wenn nicht direkt Synonyme, so jedenfalls Zustände, die in einer engen Verbindung und gegenseitigen Abhängigkeit stehen[20]. Das Er­kenntnissystem des Atheisten ist unvollständig und mangelhaft. Es beinhaltet nicht alle Erkenntnisvermögen, die dem Menschen zugeteilt sind[21]. Vor einem Atheisten würde Palamas überhaupt keine eigentlich theologische Argumenta­tion entwickeln. Diese Position ist auch der westlichen Tradition nicht unbe­kannt[22].

Wie ist nun diese Situation zu deuten? Es ist zunächst zu betonen, dass die besprochene Fragestellung und die entsprechende Auseinandersetzung keine richtige Analoge in der byzantinischen Kulturgeschichte kennen. Man muss zunächst die Tatsache bemerken, dass man bei der Erörterung der apodiktischen Syllogistik im Bereich des Theologischen die Logik selbst nicht mehr als bloß technisches Mittel der spekulativen Theologie bzw. als eine untergeordnete Philosophie zu betrachten wagt. Sie wird ganz umgekehrt aufgrund der metaphysischen Basis verifiziert und erlangt erst als Bestandteil dieser Basis ihre Effizienz. Die Logik ist nicht mehr von der ersten Philosophie unterschieden, sondern als eines ihrer Elemente identifiziert. Das Explizieren der metaphysischen Axiomatik im Bereich des Logischen ist allezeit ein sicheres Indiz für die Krise des Paradigmas. In unserem Falle darf man sowohl von einer Infragestellung der metaphysischen Programme als auch von einer Krise des Kulturmodells sprechen.

An zweiter Stelle ist zu betonen, dass es in diesem Bereich um einen Zusammenstoss zwischen zwei metaphysischen Programmen geht, die keine frühere Kulturpräsenz in dieser Form kannten. Im Falle der Thomisten ist das unmittelbar evident. Sie setzen das Modell der scholastischen Transzendentalphilosophie durch. Die Transzendentalienlehre ist das methaphisische Projekt, das in der Zeit der Universitätsscholastik an die Stelle der substantiellen Metaphysik des Boethius tritt: während die letztere als Reflexion über einen specialis modus essendi betrachtet wird, wird die erstere als den modus generalis consequens omne ens konzipierend verstanden[23]. Das neue Paradigma, das die communissima (ens, unum,verum, bonum) als gemeinsame Prädikate postuliert, die von allen Dingen ausgesagt werden können und mithin miteinander „vertauschbar“ (convertiblis) sind, beginnt mit der um 1225 verfasste Schrift Summa de bono Philipps des Kanzlers seine Verbreitung und wird kurz nach der Mitte des 13. Jhdts kraft des Werks von Denkern wie Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Bonaventura und mehreren ihrer Zeitgenossen und Nachfolgern etabliert[24]. Diese Lehre gründet zwar auf der metaphysischen Doktrin des Aristoteles, ohne aber bei Aristoteles selbst eine explizite Erörterung erfahren zu haben. Sie ist vielmehr eine einseitige und selektive Erweiterung aristotelischer Postulate, die zugunsten des christlichen Weltbildes systemphilosophisch von den führenden scholastischen Philosophen entwickelt worden waren und dank der griechischsprachigen Thomisten nach der Mitte des 14. Jahrhunderts auch in Byzanz eine philosophische Relevanz erlangtenen.

Typologisch dasselbe lässt sich aber auch über die Energienlehre sagen. Sie stützt sich auf die Lehre von der Triade „Ousia-Dynamis-Energeia“, die Aristoteles in Buch 9 der Metaphysik entwickelt. Wohlgemerkt werden die Begriffe nicht etwa durch „Substanz-Potenz-Akt“ (wie man sie in der lateinischen Tradition zu übersetzen pflegt), sondern in ihren ursprünglichen und im Griechischen selbstverständlichen Bedeutungen „Wesenheit-Kraft-Wirkung“ gefasst. Der Schwerpunkt liegt auf der aristotelischen Position der Untrennbarkeit der Wesenheit und ihrer Kraft und Energie und der Unterscheidung zwischen den Energien im eigentlichen Sinne des Wortes (der existentiellen Energien) einerseits und derjenigen Energien, die Aristoteles „Bewegungen“ nennt, nämlich der kreativen oder instrumentalen Energien, andererseits. Die Lehre wird durch ihre neuplatonischen Deutungen erweitert und kraft einiger für das christliche Weltbild evidenten Umstände und Begriffe ergänzt. Die auf diese Weise entfaltete aristotelische Doktrin wird von ihrem konzeptuellen Kontext separiert und philosophisch überbetont. Es stimmt durchaus, dass sie für fast alle byzantinischen Philosophen gültig war. Das Thematisieren der Energienlehre ist keineswegs nur im Hesychastenstreit des 14. Jahrhunderts üblich[25]. Die Energeinlehre gehört zum Kern der mannigfaltigen Entwürfe im Bereich der byzantinischen Philosophie. Es ist aber wohl zu sagen, dass sie nie zuvor auf solche radikale Weise fomuliert und zur Hauptachse einer philosophisch-praktischen Synthese verwandelt worden war. Dieser Schritt wurde von Gregorios Palamas getan, indem er sich als „Anwalt“ der die Hesychia Übenden empfahl. Es trifft zu, dass der Hesychasmus in der östlichen Mönchstradition seit dem Ende des 4. Jhdts seinen Platz hatte. Der systematisierte Hesychasmus aber samt der normierten psycho-somatischen Praxis wurde von Gregorios Sinaites (1253-1346) und seinen Nachfolgern (zu denen auch Palamas zählte) seit dem Ende des 13. Jhdts sehr rasch verbreitet und durch die Synoden von 1351 und 1368 als offizielle kirchliche Position etabliert. Diese Form des Hesychasmus und ihre schnelle Durchsetzung sind ein Phänomen der Krise des Paradigmas, die man durch das Potential des Paradigmas selbst aufzuheben versuchte. Als ein ähnlicher Versuch ist auch der Anbruch des byzantinischen Platonismus und des byzantinischen Aristotelismus zu betrachten, der seit 1440 Tatsache war.

Es ist festzustellen, dass die Anstrengungen sowohl der Thomisten als auch des Palamas und seiner Anhänger, der „Neuerer“ wie auch der „Konservativen“, auf eine Renovierung bzw. „Sanierung“ des etablierten Denk- und Kulturmodells und nicht auf seine Ersetzung abzielten. Auch die Thomisten und insbesondere die Gebrüder Kydones sind in diesem Rahmen geblieben, obschon sie einige Grundpositionen dieses Modells angriffen. Aus dieser Perspektive ist auch die Stellungnahme des Neilos Kabasilas, des verehrten Lehrers von Demetrios Kydones und treuen Gefährten des Palamas, zur Syllogistik zu verstehen. Seine Stellung ist ausdrücklich nicht gegen Palamas, sondern gegen die „lateinische Art zu theologisieren“ gerichtet, weil er darin eine Gefahr für bestimmte Stützpunkte des Kulturmodells entdeckt und eine Entfremdungslinie vermutet. Aus diesem Grund ist er bereit, als Muster die Situation zu empfehlen, die in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts aktuell war. Typologisch gesehen, entscheidet er sich für die Haltung des Niketas Stethatos (um 1005-um 1090), des Schülers und Nachfolgers von Symeon dem Neuen Theologen, der zwar viel spekulativer als sein Lehrmeister war und sich immerhin explizit gegen Johannes Italos (um 1025-um 1082) wendete, welcher seinerseits Michael Psellos nicht nur als Dekan der Philosophen nachfolgte, sondern auch intellektuell fortsetzte. Die Position des Neilos Kabasilas wurde auch von seinen Gesinnungsgenossen nicht restlos akzeptiert. Den Nachweis dafür liefern etwa selbst der fiktive Dialog Widerle­gung des Buches, das Demetrios Kydones gegen den seligen Neilos Kabasilas von Thessalonike geschrieben hat, der von Neilos’ Schüler Demetrios Chrysoloras (vor 1360-1430/40) verfasst wurde und prinzipiell der Ansicht des Neilos näher stand, wie auch die philosophische Plattform des Nikolaos Kabasilas (um 1320-nach 1391), des Neffen, Schülers und Herausgebers des Neilos. Immerhin bestätigen alle erwähnten Einstellungen eine fortwährende Tendenz. Trotz aller Unterschiede setzen die byzantinischen Intellektuellen auch in der letzten Periode von Byzanz letztendlich die Spannungen zwischen der theozentrischen und der anthropozentrischen Gesinnung fort. Diese beiden Strömungen waren bereits Mitte des 11. Jhdts ausgeformtt und etabliert.

Zusammenfassend darf man schließen, dass die byzantinische Kultur trotz der neuen Situation kein neues Paradigma prägen konnte. Die neue Sachlage wurde durch die eskalierende osmanische Invasion und durch die Entfremdungsprozesse konstituiert, die die Ost-West-Verhältnisse bestimmten. Man muss die Tatsache berücksichtigen, dass spätestens ab der Mitte des 11. Jahrhunderts die türkische Invasion in die Reichsterritorien kontinuierlich zunahm. Diese Entwicklungen beschleunigten sich während der lateinischen Besatzung Konstantinopels und der anschließenden Begründung der paläologischen Dynastie. Seit 1354 setzten sich die Osmanen zunehmend in Europa fest, und die Gefahr eines endgültigen türkischen Einmarsches wurde immer evidenter. Die Abwehr gegen diese Invasion und die Aufrechterhaltung des Staates bildeten ein gemeinsames Ziel der byzantinischen Intellektuellen. Die andere Quelle des Kulturtraumas war die Entfremdung vom Westen, der seinerseits spätestens seit der Mitte des 12. Jhdts seine eigenen Kulturwege bahnte, die mit dem östlichen kulturellen Model immer weniger zu tun hatten. Ein Beispiel dafür ist die Tatsache, dass die byzantinischen Emigranten in Italien es selbst mit gutem Willen nicht schaffen konnten, als kreative Akteure am Kulturleben des Westens teilzunehmen, und in ihm eigentlich marginal blieben. In ihrer intellektuellen Tätigkeit griffen die Emigranten die dem byzantinischen Kulturkreis eigenen Fragestellungen wieder auf, ohne sich an den gegenwärtigen westlichen Diskussionen ertragreich zu beteiligen. Gleichzeitig damit entwickelten die westlichen Intellektuellen (sowohl im Süden als auch im Norden) ganz neue Kulturprogramme, die mit den byzantinischen Kulturformen nichts mehr zusammen hatten. Ihre byzantinischen Zeitgenossen suchten Auswege aus der Krise durch Aufbau von immer neuen Projekten, die aber sich als Elemente des etablierten Kulturmodells von Byzanz fassten. Die Hektik dieser Überproduktion von Entwürfen im Rahmen des Paradigmas wird auch heute als eine kulturelle Blüte gedeutet, die man der sog. paläologischen Renaissance zuschreibt.

Die nach Mitte des 11. Jahrhunderts geprägte Kulturgestalt galt bis zum Ende der eigentlich byzantinischen Zeit als konkurrenzlose Norm. Die Unmöglichkeit, ein der neuen Situation entsprechendes Kulturparadigma zu entwickeln, war das eigentliche geschichtliche Drama der byzantinischen Kultur, das es letztendlich zu ihrem Zusammenbruch führte.

[1] Der vorliegende Text entstand im Laufe meiner Arbeit als Fellow des Internationalen Kollegs „Morphomata“ an der Universität zu Köln und wurde im Kolleg am 03.07.2012 präsentiert. Für die Sprachkorrektur bin ich mienem Freund Dr. Michael Chronz verpflichtet.

[2] S. Runciman, The Last Byzantine Renaissance, Cambridge 1970, 5 u. 14.

[3] Cf. S. Runciman, The Last Byzantine Renaissance, Cambridge 1970, 22.

[4] Cf. T.M. Kolaba, “Repercussions of the second Council of Lyon (1274): Theological Polemic and the Boundaries of Orthodoxy”, in: Greeks, Latins and Intellectual History 1204-1500, (edd.) M. Hinterberger and C. Schabel, Leuven – Paris – Walpole, MA, 2011, 66.

[5] Cf. G. Kapriev, Philosophie in Byzanz, Würzburg, 2005, 114-115 und 171.

[6] Dial., 1 (PG 94, 536C).

[7] Theophanes, 3; 13 (II, 223,6–9; 236,23–26).

[8] Cf. Epistula I ad Akindynon (I, 203–219); Epistula II ad Barlaam (I, 260–295). G. Podskalsky, Theologie und Philosophie in Byzanz, München, 1977, 131–134, 141–142 und 150–153.

[9] Epistula I ad Akindynon, 8; 13 (I, 211,14–20; 217,28–218,4).

[10] Epistula I ad Akindynon, 9; 13 (I, 213,2–10; 218,6–11); Epistula II. ad Barlaam, 20, (I, 271, 21-28).

[11] Epistula I ad Akindynon, 9 (I, 212,22–214,9).

[12] Epistula II ad Barlaam, 56 (I, 292,16–25).

[13] Epistula I ad Akindynon, 10 (I, 214,18–25).

[14] Cf. K. Ierodiakonou, „The Anti-Logical Movement in the Fourtteenth Cen­tury“, in: Byzantine Philosophy and its Ancient Sources, ed. K. Ierodiakonou, Oxford, 2002, 228–235.

[15] Epistula I ad Akindynon, 8 (I, 211,26–212,19).

[16] Cf. Triades, III, 2, 7 (I, 661,29–31), Antirrhetica contra Akindynon, V, 12, 44 (III, 320,26– 321,1).

[17] Cf. I. Christov, „Sein und Existenz in der Diskussion über die Methode zwi­schen dem Hl. Gregorios Palamas und Barlaam“, in: Humanismus, Kultur, Religion, ed. I. Christov, Sofia, 1997, 42–48 (bulgarisch).

[18] Epistula I ad Akindynon, 8; 10; 11 (I, 211,7; 14,29; 215,3–17).

[19] Cf. G. Podskalsky, Theologie und Philosophie in Byzanz, München, 1977, 153 und 157.

[20] Capita 150, 141 (V, 114,11–12).

[21] Cf. Capita 150, 21; 25; 40; 63 (V, 46,16–18; 48,23–49,10; 57,19–29; 71,24–72,7).

[22] Cf. G. Kapriev, …ipsa vita et veritas. Der „ontologische Gottesbeweis“ und die Ideenwelt An­selms von Canterbury, Leiden – Boston – Köln, 1998, 47 und 63–72.

[23] Thomas von Aquin, De veritate, I, 1.

[24] Cf. neuerdings J. Aertsen, „Die Transzendentalität der Wahrheit im Mittelalter“, in: Wahrheit und Geschichte. FS G. Mensching, hg. A. Mensching-Estakhr u. M. Städtler, Würzburg, 2012, 181 sq.

[25] Cf. e.g. D. Bradshaw, Aristotle East and West. Metaphysics and the Division of Christendom, Cambridge 2004, 153–220; die auf das Thema bezogenen Paragraphen in G. Kapriev, Philosophie in Byzanz, Würzburg 2005, 21–149; J.-C. Larchet, La théologie des énergies divines. Des origines à saint Jean Damascène, Paris 2010, passim. Im letzten Abschnitt seines Buches formuliert J.-C. Larchet dreißig Grundsätze der Energienlehre, die im 8. Jahrhundert bereits fest etabliert waren[25]. In einer Zusammenfassung sui generis aus dem Jahr 2008 macht er darauf aufmerksam, dass diese Sätze „eine hohe Zahl der konstitutiven Elemente der vom hl. Gregorios Palamas im 14. Jahrhundert entwickelten Theologie der göttlichen Energien bilden“ – „La théologie des énergies divines des origines à saint Jean Damascène“, in: P. Ladoceur (ed.), The Wedding Feast, Montreal 2010, 34.


 Philosophia 2/2012, pp. 4-16