Aufhalten und Aufschub: über die Wahlverwandschaft in der Differenz zwischen Carl Schmitt und Walter Benjamin

Vladimir Radenkov

Abstract: The correlation in which this text brings Carl Schmitt‘s and Walter Benjamin’s work is being searched at the level of a shared by both thinkers and assembling a series of their concepts idea: the idea of a salvation history, which „eschaton“ is „outside“ the successive time as a way of being of the present-at-hand. It is being attempted to show that Schmitt and Benjamin think in just about mirror perspectives one and the same: the preservation of the character of possibility of the salvation trough holding back of its involvement in the immanence of the presence-at-hand, the representation in the language as the place, where takes place this retention of the ecstatic essence of being human and is holding back the fall of the being from the event into the nature, the understanding that this ecstatic openness lies at the point of indifference of linguistically and factually, which is not their immediate synthesis, but their double negation as present-at-hand.

pdf PDF              Key words: time, history, salvation, katechon, apocatastasis, representation, language, symbol, allegory


Der Zusammenhang, darin dieser Aufsatz das Werk Carl Schmitts und Walter Benjamins bringt, bildet sich nicht aus dem Nachvollzug ihrer expliziten oder impliziten Repliken und Verweise aufeinander. Er wird auf dem Niveau einer von den beiden Denkern mitgeteilten und eine Reihe ihrer Auffassungen versammelnden Idee gesucht. Es geht um die Idee einer Heilsgeschichte, deren „Eschaton“ „außerhalb“ der Zeit als homogenes und leeres Behältnis eines Nacheinanders liegt. Die Auslegung geht von der Erwartung aus, sie würde die Disposition zueinander von zwei nahezu antithetischen Diskursen beleuchten. Eine Eingrenzung der Fragestellung besteht darin, dass die theologischen und philosophischen Begriffe der beiden Autoren, die sich auf diesen Themenhorizont beziehen lassen, nicht angesichts ihrer ursprünglichen Kontexte, sondern als Elemente der darzustellenden Ideenkonstellation auszulegen sind. Der Text gliedert sich in zwei Abschnitte, welche beziehungsweise Schmitt und Benjamin gewidmet sind, indem im zweiten Abschnitt zugleich der Zusammenhang der beiden Denkdiskurse herausgearbeitet wird.

  1. Katechon vs. Katastrophe

Zunächst ist Schmitts Begriff des Katechon zu thematisieren, der, nach den eigenen Worten des Autors, in sich seine Auffassung von Heilsgeschichte versammelt. Es könnte der interpretativen Möglichkeit nachgegangen werden, das vom Katechon verzögerte Ende der Geschichte besagt nicht die Parusie, vielmehr den Verfall in eine reine Immanenz, der die Parusie gerade „unsichtbar“ machen würde. Mit diesem Begriff setzt sich Schmitt sowohl von der konsequenten als auch von der theleologischen Eschatologie ab, indem er die Erhaltung des paradoxen Faktums einer Erlösung meint, die in der Geschichte schon „gesäet“ ist, doch nicht nachgefolgt werden kann. Außerdem, im Unterschied zu einer präsentischen Eschatologie, hält er sich an der Wiederkunftsvorstellung fest. Der Katechon erhält somit den zur Möglichkeitsstruktur des mehschlichen Seins entsprechenden Charakter der Erlösung, die in der Gottes Offenbarung in Jesus Christus erschloßene ekstatische Offenheit, wo allein der Erlöser wiederkehren kann. Letztendlich erweist es sich, dass das von ihm aufgehaltene Ende der Geschichte in deren Hineinziehen in die sukzessive Zeit als die Seinsart der Vorhandenheit besteht. Er lässt die Heilsgeschichte weiter gehen und hält die Möglichkeit ihrer Vollendung offen, indem er die weitergehende Zeit in der Weise einer authentischeren, existentiellen Zeitlichkeit aufhält. Die Heilsgeschichte ist also mit der in der linearen, räumlichen Zeit verlaufenden nicht identisch und ereignet sich gerade als deren Unterbrechung. Andererseits beharrt Schmitt auf der Unentbehrlichkeit der öffentlich-gemeinschaftlichen Dimension des christlichen messianischen Ereignisses. Das heißt, dass der Katechon dieses Ereignis im doppelten Sinne repräsentiert. Zum einen, indem er es auf eine nicht mythisch-rituelle, sondern existenziell-zeitliche Weise wiederholt, re-präsentiert. Zum anderen, indem er es in der Öffentlichkeit vertritt. Diese Stellvertretung soll eine macht- und glanzvolle sein, da es um die Aufbewahrung des in der Welt schon etablierten Faktums der Erlösung geht, um die in der mit den anderen mitgeteilten Offenheit des menschlichen Seins stattfindende Erhaltung dieser Offenheit selbst.

Diesbezüglich muss Schmitts Begriff der Repräsentation aufgehellt werden. Nach dem deutschen Juristen ist dieser Begriff vorbildlich in der päpstlichen und der kaiserlichen Institution vollbracht, in denen er, anderenteils, am ehesten die echten Träger der Katechon-Mission erkennt. Indem Schmitt die von der römisch-katholischen Kirche ausgeführte Stellvertretung Christi als complexio oppositorum bezeichnet, meint er, dass die Kirche zwischen dem Transzendenten und dem Immanenten vermittelt, ohne deren Differenz zu vertilgen. Derart, einerseits, grenzt er sich von dem gnostischen Dualismus und dem jüdischen Verständnis vom unsichtbaren Gott ab, die auf der Spaltung zwischen den beiden insistieren. Andererseits hebt er so heraus, dass Gottes Anwesenheit in der Welt keine Vorhandenheit bedeutet, sondern nur in der Entscheidung, über diese hinauszugehen, zugänglich ist. Das zeigt die eine Richtung an, worin hier Schmitts Begriff der Dezision ausgelegt wird. In rechtspolitischen Kontext übersetzt, hat die Repräsentation folgende Dialektik: der Repräsentant ist weder unpersönliche öffentliche Institution noch harismatische Privatperson, vielmehr Institution und Persönlichkeit ineins. Sie vollzieht sich als ein Bewahren des vom Erlöser eröffneten Ausweg aus der Immanenz, die durch die Komplementarität von abstrakter Normativität und bloßer Faktizität beibehalten wird, welches Bewahren zugleich einen notwendigen öffentlich-gemeinschaftlichen Charakter hat. Dieser Ausweg liegt mithin im Indifferenzpunkt von Normativem und Faktischem, der nicht ihre „höhere Einheit“, sondern deren doppelte Negation ist. Schmitt hebt die Zweideutigkeit einer Stellvertretung hervor, welche ihre Legitimität sowohl auf Gott als auch auf das Volk gründet. Insofern aber er zugleich betont, dass jede Repräsentation „von oben her“ stattfindet und etwas jenseits der puren Vorhandenheit darstellt, scheint es gleichgültig zu sein, ob sie auf Gott oder auf das Volk zurückgeht.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, kann Schmitt zufolge der Souverän im säkularen Gebilde „Staat“, also eine juridisch, „von unten her“ konstruierte Gestalt, die Rolle des Katechon spielen. Anders gesagt: Kann der rechtspolitisch „tote“ Gott der Moderne im Staat „wiederauferstehen“? Im Folgenden wird Schmitts Souveränitätstheorie schrittweise in drei für ihre Ausformung entscheidenden Kontexten betrachtet werden.

Zuerst ist seine Kritik am Rechtspositivismus zu erörtern, und damit indirekt – seine Liberalismuskritik. Für Schmitt zeichnet sich diese Gestaltung des gesellschaftspolitischen Lebens durch die Trennung von Normativem und Faktischem, Sollen und Sein aus. Das lässt sich darauf zurückführen, dass sie auf einem formal-logizistischen Denken im Modus der Vorhandenheit beruht. Das normative System ist faktisch grundlos, weil es unter sich nur das Normale, d.h. das in ihm vorgesehene einordnet, indem es für den konkreten Fall „blind“ bleibt. Hier steckt die Möglichkeit zu einer Virtualisierung der öffentlichen Ordnung, mithin zu einer Entzweiung und Verstellung des gesellschaftspolitischen Lebens. Die Publizität wird zu einem Imaginären, worin die satanisch-anonymen Kräfte, welche das faktische Leben ausprägen, nicht direkt repräsentiert sind. Schmitts dezisionistische Souveränitätstheorie ließe sich in zwei möglichen Perspektiven auslegen. In der ersten, schon angedeuteten, stellt sie einen eigenartigen politischen Existentialismus dar. Der Souverän ist kein Vorhandenes in juridischer Hinsicht, seine Existenz ist grundlos angesichts der bestehenden Rechtsordnung. Allein ist gerade diese grundlos im Bezug auf Sein und wird faktisch „verbürgt“, in der konkreten Situation verwurzelt, indem sie sich auf die Entscheidungen des sich in dieser Situation befindenden Souveräns gründet. Die souveräne Entscheidung suspendiert die bestehende Rechtsordnung nicht im Sinne ihrer machtvollen Durchbrechung, sondern in der Weise eines „ohnmächtigen“ Seins-zum-Tode dieser Rechtsordnung, das sich als entschlossene und öffentlich bekundete Übernahme der eigenen Befindlichkeit in der Welt ereignet. So eröffnet und erhält der Souverän die Lichtung, worin das gesellschaftspolitische Leben einen Ausweg aus der Kapsulierung im Imaginären finden kann, indem es sich seine der äußeren Wirkungen bloßgestellten Faktizität aneignet. Das positivistische Recht entspringt einer Vergessenheit der eigenen Bedingung der Möglichkeit, die im Ekstatischen der souveränen Person liegt. Nach der zweiten Lesart entwickelt Schmitt seine Souveränitätstheorie nicht in der Pespektive einer echten Gestaltung des sozialen Lebens, vielmehr in Hinsicht auf das effektivste Erfassen dieses Lebens in eine Ordnung. Der eigentliche Treffpunkt der Kritik am Rechtspositivismus besteht nicht darin, dass er das Leben nicht begreifen kann, da er es unter sich subsumiert, sondern darin, dass er das Leben nicht ergreifen kann, weil er es nur virtuell „bearbeitet“. Die Begründung des Rechts im Ausnahmezustand, wo es mit dem Leben verschmilzt, indem es nicht referentiell wird, zielt darauf ab, den von den Rechtsnormen vorausgesetzten Normalzustand, deren Referenzfeld herzustellen. In diesem Sinne ist die souveräne Existenz extatisch allein in juridischer, nicht in ontologischer Hinsicht. Die Entscheidung zwischen den beiden Auslegungsmöglichkeiten angesichts der leitenden Frage hängt nicht an letzter Stelle damit zusammen, wie die Politische Theologie zu verstehen sei, in deren Kontext Schmitt seinen Souveränitätsbegriff zuerst darlegt. Wenn sie sich nur auf die sich im Vorgang der Säkularisation stufenweise erschließenden Strukturidentitäten von methaphysischem Weltverständnis und juridischer Gestaltung des Politischen bezieht, wäre sie die Interpretation einer Geschichte, welche nicht unbedingt in der Perspektive der Erlösung erblickt wird. Allerdings ist es auch möglich, sie als einen Versuch unter modernen Bedingungen zu denken, das Politische als die Stelle des Geschichtlichen im christlichen messianischen Ereignis zu fundieren, dessen Ereignen und Erhalten andererseits Schmitt als wesentlich öffentlich-gemeinschaftliches betrachtet.

Die Befolgung dieses Denkwegs über Schmitts Werk ist durch ein Kommentar seiner Leviathan-Deutung fortzuführen. Diese zeichnet sich durch eine merkwürdige Zweideutigkeit aus. Es scheint, als ob Schmitt setzte sich von der bei ihm selbst angedeuteten „technischen“ Gestaltung der rechtspolitischen Ordnung ab. Er weist darauf hin, dass sich der von Hobbes konstruierte Staat als Urbild des modernen Staats von einem christlichen Gemeinwesen dadurch unterscheidet, dass seine konstitutive Funktion in der Sicherstellung des bloßen, natürlichen Lebens besteht und eine individualistische Zerstückelung des Gemeinlebens voraussetzt. Diese Gestaltung des Politischen stellt somit seinen Verfall als der Raum des Geschichtlichen in die Immanenz dar, zum einen, weil sie aus einer Festhaltung am Bestehenden hervorgeht, zum anderen, weil sie einer Absonderung vom Mitsein als dem eigentlich Extatischen des menschlichen Seins entspringt. Der basische für die Staatsordnung Zusammenhang von Schutz und Gehorsam verrät, dass sie auf eine technische Weise hervorgebracht und wahrgenommen wird. Sie erscheint dem privaten Dasein der Bürger als die Sicherstellung seines eigenen Fortbestands, indem sie sich zugleich vor dem Souverän als das die von ihm gestellten Ansprüche erfüllende öffentliche Dasein derselben Bürger darstellt. Das Individuum wird Bürger dadurch, dass es sein ursprünglich öffentlich-gemeinschaftliches Leben im Staat dinghaft entfremdet. Es stellt sein eigenes Leben sicher, indem es dieses vor einer Intervenz bloßstellt und in seinem Ansich vernichten lässt. Überdies kann berücksichtigt werden, dass Schmitt den technischen Charkter des Leviathans auch auf eine Analogie mit Descartes Grundlegung der neuzeitlichen Subjektivität zurückführt. Es ist darauf hinzuweisen, dass er im bis hierher verfolgten Zug seiner Leviathan-Deutung die Bezeichnung des Souveräns als Stellvertreter Christi als einen polemischen Schritt betrachtet, sowie als eine Säkularisierung und Funktionalisierung des Begriffs der Repräsentation durch sein Herausziehen aus der Katechon-Tradition der römisch-katholischen Kirche und des Heiligen Römischen Reiches; dass dieser Deutungslinie zufolge in Hobbes politischen Theorie der juridische Ursprung der Spaltung zwischen Öffentlichem und Privatem liegt, die den ganzen Säkularisierungsprozess aufschließt. Zugleich ist die Umkehr nachzuzeichnen, welche Schmitts Interpretation am Ende seines Buches und besonders in späteren Texten erleidet. Jetzt kann man lesen, der englische Denker sondere die ursprünglich öffentliche und gemeinschaftliche Existenz des Glaubens in einer Bürgerreligion nicht darum aus, ihn in eine sich dadurch konstituierende Privatsphäre hineinzutreiben, vielmehr darum, diese seine Existenz in der Situation einer konfessionellen Auflösung zu bewahren. Und mehr noch: dass Hobbes Konstruktion die einzig mögliche Form eines christlichen Gemeinwesens unter modernen Bedingungen sei.

Die Beziehung zwischen der Souveränitätstheorie Schmitts und seiner Rezeption des Werks Donoso Cortes ist hier nur kurz anzudeuten. Schmitt schätzt Donoso höher als Hobbes ein, weil der spanische Gegenrevolutionär die katholische Tradition der Stellvertretung Gottes als den einzigen legitimen Erhalter des transzendenten Fundaments des Politischen in der Situation der Moderne ansieht. Es könnte die Auslegungsmöglichkeit entworfen werden, es gibt keinen unbedingten Gegensatz zwischen dem Akzent des deutschen Juristen auf der Repräsentation und dem apokalyptischen Zug Donosos, wenn beide als eine „außerhalb“ der sukzessiven Zeit geschehende Verteidigung der die Welt und Geschichte „entimmanentisierten“ Anwesenheit Gottes verstanden werden.

Zum Schluss muss die Frage offen bleiben, ob in den interpretierten Begriffen und Auffassungen Schmitt heilsgeschichtlich denkt oder eine Geste der Säkularisation vorführt, wodurch er auf ein alternatives zum liberal-aufklärerischen Prinzip der Gestaltung des gesellschaftspolitischen Raums hinarbeitet – da die gestellte Aufgabe die Darstellung der spezifischen Ideenkonstellation war, in welche diese Begriffe und Auffassungen eintreten. Es ist jedoch auf zwei Punkte hinzuweisen. Erstens, dass die Gleichschaltung der Anwesenheitsweisen Gottes in Christus und in dessen Stellvertreter unzulässig zu sein scheint. Im ersten Fall geht es um eine einmalige und „leibliche“ Präsenz, während im zweiten – um eine wiederholbare und mimetische Re-präsentation, sei sie auch existentiell vollzogen. Es ist denkbar, dass Schmitt selbst dafür Rechnung trägt, indem er sich an der Idee des Katechon umorientiert, dem er nicht mehr die Rolle eines „lebendigen Bilds Gottes“ zuweist. Aber selbst wenn angenommen wird, die Rolle des Katechon schränkt sich auf die Erhaltung der Stelle des Erlösers in der Geschichte ein, bleibt die Frage, ob nicht dieses „aufs Spiel setzen“ des Heilsplans Gottes in eine gefährliche Nähe zum gnostischen Glauben an die Fähigkeit des Menschen zur Selbsterlösung geriet. Zweitens, die Möglichkeit, eine solche Erhaltung der ekstatischen Offenheit des menschlichen Seins nicht ins Szenische und Scheinbare verfallen zu lassen, steht und fällt mit einer Homogenität des Gemeinlebens. Für Schmitt ist freilich diese Homogenität keinesfalls mit Unifizierung gleichbedeutend. Ihm zufolge gehe die Masse aus dem „Kurzschluss“ zwischen der Demokratie und der liberalen Idee von abstrakter Menschengleichheit hervor, während das wirkliche Gemeinleben heterogen auf dem normativen Niveau sei und gerade dies voraussetze, dass die faktischen Ungleichheiten im Licht der Öffentlichkeit erscheinen. Insofern aber die Offenheit, die Bekundung der faktischen Position, d.h. die den Menschen versammelnde Identifizierung mit seinem öffentlichen Wort sich unentbehrlich als eine Übernahme der eigenen Befindlichkeit in der Welt, als je meines, „mündiges“ Werk vollzieht, seine Monopolisierung und Anschauung in irgendwelchem Einheitszentrum, sei dieses der Stellvertreter Gottes oder der „Gemeinwille“, verwandelt es gleichsam wieder in entzweienden und entstellenden Schein. Darüber hinaus gilt es zu bedenken, dass die Rechtsnorm, selbst wenn sie situationsgebunden, von einer in der konkreten Situation existierenden Person hervorgebracht ist, unter dem Verhängnis steht, in Gefangenschaft des Bestehenden zu bleiben, da sie sich immer auf einen Normalzustand, auf eine wenngleich „augenblickliche“, so doch vorhandene Ordnung bezieht.

  1. Apokatastasis vs. Katastrophe   

Anfangs ist Walter Benjamins Begriff einer Geschichte zu entwerfen, die sich in Bezug auf die Erlösung ereignet. Die Frage, ob die von ihm verkündete „Verbergung“ der Theologie deren Säkularisierung oder eine Negativität seines theologischen Denkens besagt, soll hier beiseite gelassen werden. Die Auslegung wird sich danach richten, diese Negativität selbst auf eine spezifische Zeit- und Geschichtsauffassung zurückzuführen. Auf diese Fragestellung ist zunächst Jacob Taubes Gnostizismus-Vorwurf einzubeziehen, infolgedessen Benjamin die Erlösung allein der Innerlichkeit zuteilt und dadurch in Kontrast zum jüdischen Verständnis vom weltlichen Charakter dieses Ereignisses geriet. Dagegen kann darauf hingewiesen werden, dass die Erlösung zwar in ein radikal fremden dem bloß Natürlichen und jeder bestehenden Ordnung Bereich hinausgetragen wird, das aber eine wesentliche gesellschaftspolitische Dimension hat. Dem Gesellschaftspolitischen wird nicht das Verhältnis zur Erlösung überhaupt, sondern die Möglichkeit abgestreitet, sich von sich als etwas Bestehendes aus zu ihr zu verhalten. In dieser Perspektive ließe sich Benjamins Kritik der theleologischen Eschatologie interpretieren, die das Reich Gottes als immanenter Zweck der Geschichte versteht. Diese Geschichtsauffassung wurzelt in der Auslegung der Zeit als leeres Topos des Jetzt, welches das in seinem Sinn bereits vorgestellte angesichts des bloßen „Daß“ seines Vorkommens nacheinander in sich hineinstellt. Die Erlösung ist ein apokalyptisches Ereignis: zum einen, weil sie die Sinnerwartungen katastrophal überholen, zum anderen, weil sie die Gechichte vollenden würde, indem sie diese in ihrem wahren Sinn offenbart. Das besagt, dass, wie bei Schmitt, die Heilsgeschichte mit der profanen nicht identisch ist und sich in der Weise einer den kontinuierlichen Zeitverlauf unterbrechenden, existentiellen Zeitlichkeit ereignet. Statt auf das mögliche Reich Gottes hinzuführen, die fortschreitende Zeit stellt, umgekehrt, seine fortschreitende in ihren Maßstäben, vorläufige Katastrophe dar. Und zwar in dem Sinne, dass die Einfügung der Geschichtsinhalte unter die Bedeutungen, welche im Jetzt-Topos vorfindbar und verfügbar sind, ihr Herausbrechen aus deren möglichen Stellen in einer transzendenten Zusammenstellung der Dinge ist.

Hierzu lohnt es sich, die zeitliche Weise zu erläutern, worauf sich die für die Heilsgeschichte als konstitutiv erscheinende Erhaltung der Möglichkeit ihres „Eschatons“ vollzieht. Benjamin nennt denjenigen, der diese Möglichkeit erhält, einen „rückwärts gewandten Prophet“. Das, wonach sich der in der fortschreitenden Zeit stehende richtet, ist im Voraus in seiner Möglichkeit, sich von einem transzendenten Zusammenhang aus darzustellen, d.h. in seiner möglichen Zugehörigkeit zum Reich Gottes vergessen. Jede Gegenwart beerbt die Trümer des möglichen Reichs Gottes und ist schon immer darauf aus, diese zu beerben. Derjenige, welcher der Perspektive seiner eigenen Gegenwart den Rücken kehrt, erinnert sich vom Ende der sukzessiven Zeit her, das dieser nicht zugehört, d.h. von der unverfügbaren Möglichkeit der Erlösung her daran, was er sonst im Vorhinein vergessen hat. Diese Erinnerung ist „unwillkürlich“, weil sie nicht aus seiner Optik des im Jetzt vorhandenen hervorgeht. Indem er sich der Gegenwart entbehrt, lässt er eine Stelle frei, wo sich etwas für einen Augenblick in seinem „außerhalb“ dieses Augenblicks unwiederholbaren Bild im Licht der Erlösung aufhalten kann.

Weiterhin ist das Spannungsverhältnis, in dem sich das profane und das Heilsgeschehen befinden, in Gegenüberstellung zur explizierten Geschichtsauffassung Schmitts zu umreißen. Nach den beiden Auffassungen ereignet sich die Heilsgeschichte als ein Aufhalten der Hineinziehung ihres „Eschatons“ in die kontinuierliche Zeit, das sich in der Weise einer diese Zeit stillstellenden, authentischeren Zeitlichkeit vollzieht. Schmitts Auffassung ist aber antiapokalyptisch in dem Sinne, dass für ihn das von einer machthaberischen Gestalt repräsentierte Aufhalten der fortlaufenden Zeit ein Aushalten der sich im Wesentlichen bereits ereigneten Erlösung bedeutet, das auf die zeitliche Weise ihres eigenen Ereignens erfolgt und doch eine äußerliche Kontinuität hat. Benjamins Verständnis lässt sich insoweit als apokalyptisch bezeichnen, als für ihn die Unterbrechung der sukzessiven Zeit eine Vorwegnahme des „noch“ ausstehenden „Zeitenendes“ ist. In der Perspektive der Erlösung enthüllt sich der sich kontinuierlich versetzenden Jetzt-Topos, welcher als die Stelle des Bestehenden, d.h. als der Normalzustand der Dinge gilt, als deren Ausnahmezustand. Er ist die Stelle von etwas, das im Voraus von seiner möglichen Stelle und so in seinem möglichen Bild im Reich Gottes ent-stellt wird. Der Augenblick der vorweggenommenen Erlösung ist der wahre Ausnahmezustand, welcher seinerseits eine Katastrophe für die im Status quo bestehende vorläufige Katastrophe des möglichen Reichs Gottes heißt. Schmitt zufolge ist der echte Ausnahmezustand schon zustande gebracht, allerdings weist sich gerade dessen Nachfolgen in der weitergehenden Zeit als katastrophal für sein Bestehen auf.

Hier wird die Auslegungsmöglichkeit aufgenommen werden, dass Benjamin die Heilsgeschichte nach dem Vorbild der von ihm produktiv angeigneten Idee der Apokatastasis denkt. Er setzt diese Idee mit einem Fortschrittsbegriff zusammen, der nicht das Fortschreiten der Geschichte durch die homogene und leere Zeit hindurch zu einem geschichtsimmanenten Zweck meint. Benjamin entlehnt ihn von Rudolf Lotze, dem zufolge der wahre Fortschritt derjenige sei, der zugleich für das Vergangene geschieht. Während nach der im ersten Abschnitt ausgelegten Schmitts Geschichtsauffassung die Zeit bereits „erfüllt“ ist, d.h. der Augenblick der Erlösung sich schon für alles ereignet hat, was ihn erfüllen kann, und insofern er ausharrt, es keine Gefahr besteht, etwas für die Erlösung verlorenzugehen, ist für Benjamin der mögliche Inhalt dieses Augenblicks im Voraus bruchstückhaft zerstreut. Er würde sich nur für das Verständnis ereignen, dass alle Bruchstücke des ihn möglicherweise erfüllenden zusammengetragen werden sollen, indem die ganze Vergangenheit in deren simultanen Zusammenstellung „zusammengefasst“ wird. Die Interpretation kann sich auch auf Gershom Scholems Hinweis einlassen, dass Benjamins Denken durch die kabbalistische Vorstellung von der seitens des Messias erwarteten Zusammenfügung der schon immer gebrochenen Gefäße der Schöpfung mitgeprägt ist. Benjamins Begriff der Apokatastasis bedeutet also den Fortschritt, bei dem in der Weise der „Erinnerung in Richtung nach vorn“ das Vergangene immer wieder, aber fortschreitend, in den Augenblick der möglichen Erlösung eingebracht wird. Dieser Fortschritt kann die Erlösung weder herbeiführen noch vorbereiten, bezieht sich doch, wie bei Schmitt, auf ein Erhalten und Offenhalten ihrer Möglichkeit, das von theologischer Seite her unter einen Gnostizismus-Verdacht geraten könnte. Anderenteils, da der Zugang zur Erlösung nicht, wie bei Schmitt, gesellschaftspolitisch eingerichtet ist, hat seine Bewahrung keinen „äußeren“ Bestand, sondern erscheint in der Zeit diskontinuierlich und fragmentarisch. Diese immer unvollendete und immer wieder aufgenommene Auslegung des Vergangenen ließe sich auch in Zusammenhang mit der von Scholem beeinflussten Benjamins Idee des Jüngsten Gerichts als ein Gericht im Aufschub bringen. Das in der Weise der „Erinnerung in Richtung nach vorn“ vorweggenommene Jüngste Gericht ereignet sich als unaufhörlicher Aufschub des mythischen Urteils, der vom Topos der Gegenwart erteilt wird und die Geschichte auf eine Inszenierung des Immerselben herabsetzt. Andererseits aber stellt es selbst einen endlosen Prozess, einen unaufhaltsamen Aufschub jeder Identität und Totalität dar.

Als entscheidend für die Möglichkeit dieses Interpretationswegs erscheint es, den Zusammenhang zwischen Benjamins Geschichts- und Sprachauffassung zu erschließen. Und mehr noch: zu zeigen, dass die nach dem Vorbild der Apokatastasis gedachte Geschichte ein sprachliches Wesen hat. Die Auslegung wird sich zunächst auf die im frühen Sprach-Aufsatz ausgeführte Bestimmung der Sprache als Medium fokussieren. Das mediale Wesen der Sprache besteht darin, dass sie in sich nichts außer sich selbst zeigt, zum Vorschein bringt. Das besagt keinesfalls, sie sei ein bloßer Schein, sondern umgekehrt, dass es kein Wesen außer der Sprache gibt, als dessen Erscheinung oder Ausdrucksmittel sie fungiere. Was die Dinge sind, sind sie einzig und allein in der Sprache. Das heißt erstens: sie ist identisch mit ihrem Sosein, und zweitens: das Wesen ist kein Inhalt, vielmehr die Form der sprachlichen „Darstellung“. Die inhaltliche Referenz, die Bedeutung macht die „äußere“ Seite, das „Residuum“ davon aus, dass die Sprache sich in sich selbst von sich selbst unterscheidet, um sich selbst zu zeigen, und diese Unterscheidung sich als eine Bestimmung vollzieht. Das „Dinghafte“, „Zeughafte“ der Sprache, d.h. die Sprache als bestimmte Inhalte zeigende Zeichnung ist kein Vorhandenes, sondern das „innerweltliche“ Aspekt dieser Gliederung, die in deren immanenten Grenzen stattfindet. Die Dinge sind also das Anderssein der Sprache, die sich in ihren einzelnen Teilen als Darstellung bestimmter Inhalte entäußert, damit sich selbst als deren Zusammenhang darstellen kann. Nach Benjamin ist die Sprache in ihrem Wesen, d.h. als Medium, mit dem Wort Gottes, und dieses – mit dem Wesen Gottes identisch. Er bezeichnet die Schöpfung als unvollendete nicht weil sie unvollkommen, sondern weil sie als natürlich vorhandene die Hieroglyphe eines schöpferischen Wortes ist, das in ihr sich selbst schon immer entäußert, vergessen hat. Sonst wäre das Sein Gottes außer dem Wort Gottes vorhanden, und dieses – ein Mittel, wodurch die Schöpfung verursacht wird. Erst als erkennende, d.h. sich selbst restituierende, er-innernde aus ihrem Anderssein in der Schöpfung, ist die Sprache, ihrem medialen Wesen nach, schöpferisch, d.h. dasjenige Wort, das sich selbst in der Schöpfung entäußert, vergessen hat. Darin wurzelt das Sein des Menschen – es ereignet sich als eine benennende Sprache, in der die Sprache selbst die Dinge als ihr eigenes Schrift erkennt, aber von einem ihrem Zusammenhang aus, der in der sukzessiven Zeit nie vorhanden war. Die Sprache als Sein Gottes stellt sich als Sein der Dinge vor sich selbst als Sein des Menschen dar. Der Mensch fällt von seinem Wesen ab, wenn er sich von seiner Teilnahme an der Sprache abwendet, indem er sich als im Topos des Jetzt vorhandener betrachtet und über die Sprache als ein vorhandenes Mittel verfügt, sich die Dinge in Entsprechung zu den in diesem Topos vorfindlichen Bedeutungen, d.h. zu den vom Zusammenhang der Sprache selbst ausgesonderten Form-Inhalt-Relationen vorzustellen. Diese Sprache der Erkenntnis ist ein bloßer Schein, also nicht mehr das Sein ihrer Inhalte, vielmehr deren dämonische Verstellung und Entstellung. Die echte Erkenntnis der Dinge, welche die Er-innerung der Sprache aus ihrem Anderssein bedeutet, denkt Benjamin als Übersetzung in einem doppelten Sinne. Während „äußerlich“, als Zeigung der Dinge, die Sprache eine Übersetzung ist, indem sie sich ihren Inhalt empfangen lässt, ist sie „innerlich“, als deren sich selbst darstellende Konfiguration, eine Übersetzung als sich selbst transformierende, und die erste Art von Übersetzung gründet in der zweiten.

Wieterhin ist der Zusammenhang zwischen Benjamins Sprach- und Geschichtsauffassung unter Einbeziehung vom Text „Die Aufgabe des Übersetzers“ herauszuarbeiten. Hier ließe sich zeigen, dass die Unterscheidung von Gemeintem und Art des Meinens hinsichtlich des „äußeren“, fragmentarischen Aspekts der Sprache, worin sie als Anders-Rede fungiert, eingeführt wird, um hinsichtlich ihres „inneren“, ganzheitlichen, medialen Aspekts aufgehoben zu werden. Wenn im ersten Aspekt die Sprache die Art des Meinens von Anderem, die Darstellungsform eines bestimmten Inhalts ausmacht, ist sie im zweiten das Gemeinte selbst, die sich selbst darstellende Darstellungsform. Der Inhalt eines Sprachwerks lässt sich nicht aussondern, damit er in der Art einer anderen Sprache gemeint wird, die ähnliche Bedeutungen handhabt, da er so, wie er ist, gerade auf die Art seines Meinens in der Sprache des Werks zum Vorschein kommt. Die Übersetzung, welche die Wiederherstellung des Inhalts in Anspruch nimmt, verfällt in die auf dem Grund der gleichnishaften Seite des Wortes gediegene Auffassung der Sprachen als selbstgenügsame Inventare der Bedeutung, die unter sich nur Beziehungen abstrakter Gleichheit zulassen. Die wahre Übersetzbarkeit der Sprachen ineinander liegt in deren bloß formalem, durch inhaltliche Verweisungen nicht beschwertem Aspekt der in ihren einzelnen Teilen sich selbst bezeichnenden Verweisungsganzen. Die Aufgabe des Übersetzers besteht eben darin, diese „synecdochische“ Selbstbezeichnung der Sprache zu veranlassen, indem er das Sprachgebilde als Entäußerung eines Sprachzusammenhangs versteht. Er vertreibt absichtlich den Anschein von der symbolischen Identität zwischen der Sprache eines echten Werks und dem in ihr dargestellten Inhalt, sowie von der Totalität des letzten, welcher Anschein darin wurzelt, dass dieses Werk von einem transzendenten, nicht aus verfügbaren Bedeutungen gebündelten Bedeutungsganzen aus hervorgebracht war und darum seine Sprache keine Referenzen außerhalb seines Inhalts hat. Der er-innerte Sprachzusammenhang ist keine Wiederherstellung eines jemals vorhandenen, sondern bildet sich durch eine Verschmelzung mit dem Sprachhorizont, darin sich der Übersetzer befindet. Das Werk geht in diese innerlich transformierte Konfiguration der Sprache nicht einheitlich ein, sondern allein mit jenen seinen, in ihr zerstreuten Fragmente, in denen sie sich selbst bezeichnet hat. Benjamin stellt die Aufgabe des Übersetzers ausdrücklich in heilsgeschichtlichen Kontext. Die Er-innerung der Sprache aus ihren Gebilden ist immer vorläufig, unvollendet, weil sie sich selbst erst dann restlos darstellen würde, wenn es nichts übrig bliebe, das nicht in Sprache übersetzt worden ist. Sie wäre mit dem Wort Gottes identisch, indem sie nur alle Geschichtsinhalte in ihr Geflecht „einwebt“, d.h. indem dieses seine höchste „Dichte“ erreicht. Ohne die fortschreitende, innerlich kontinuierliche Transformation der Sprachen zugleich in ihnen selbst und ineinander würde sich deren ursprüngliches Sein von Offenbarung nicht ereignen. Indem sich die Sprachgebilde als Elemente der Konfiguration des sich selbst progressive restituierenden, erlösenden aus seiner Selbstentfremdung in ihnen vorweggenommenen schöpferischen Wortes darstellen lassen, werden sie selbst als mögliche Schöpfung dieses Wortes progressive restituiert und gerettet. Zusammenfassend formuliert: Die sich nach dem Vorbild der Apokatastasis ereignende Heilsgeschichte, d.h. das Zusammentragen der Bruchstücke vom möglichen Reich Gottes, das zur Wiederherstellung des letzten als deren wahre Zusammenstellung hin fortschreitet, ließe sich als Versammeln der geschichtlichen Gebilde der Sprache in ihrer wahren Konfiguration denken, die sich fortschreitend aus deren Ent-äußerung in ihnen er-innert. Es sei aber nachdrücklich hervorzuheben, dass nach Benjamin das messianische Ende der Geschichte zwar ein Ende des Aufschubs der Identität von der Sprache und dem Sein ihrer Inhalte wäre, doch keine Identität von der Sprache und ihren Inhalten im Sinne einer Wesen- Erscheinung-Relation, also keine Immanenz des Sinnes bedeuten würde.

Zum letzten Punkt verhält sich wesentlich Benjamins Auffassung der Begriffe „Symbol“ und „Allegorie“. Zuerst wird das in der Vorrede zum Trauerspielbuch dargelegte Verständnis von der Rettung der Geschichtsinhalte durch deren Bezeichnung in einer symbolischen Sprache thematisiert werden. In dieser Darlegung geht Benjamin von einer Entgegenstellung von Erkenntnis und Wahrheit aufgrund der differenten Stellungen der beiden zur sprachlichen Darstellung aus. Für die Erkenntnis sei diese sekundär und willkürlich hinsichtlich ihrer eigenen Konfiguration und bestünde im Durchlaufen eines vom Jetzt-Topos aus entworfenen Sinnzusammenhangs, wodurch das in diesem Topos stehende Bewusstsein angesichts der von ihm bereits vorgestellten Inhalte auf sich selbst rekurriert. Hier fungiert also die Sprachdarstellung als eine Sicherstellung der Inhalte des Bewusstseins, womit es sich selbst vergewissert. Dieses methodologische Paradigma entspringt einer Vergessenheit der Sprache als das, was die Vorhandenheit des Bewusstseins und dessen Inhalte erst ermöglicht, d.h. als deren Sein. Die Wahrheit ist nicht dem Bewusstsein, sondern einem Sein zu eigen, d.h. der Sprache, und ereignet sich als ein Sich-zeigen-lassen. Sie ist kein Sinngehalt, vielmehr der formale Zusammenhang der sprachlichen Darstellung. Diese Konstellation der Wahrheit, die in sich sich selbst dadurch darstellt, dass sie von ihr selbst aus bestimmte Inhalte als ihre Elemente darstellt, nennt Benjamin „Idee“. Die Idee sei mithin identisch mit der Sprache in deren „innerem“, medialem Aspekt, und diese Identität von Darstellendem und Dargestelltem wird in der Vorrede als symbolische bezeichnet. Die Rettung der Geschichtsphänomene durch die Erinnerung ihrer Idee vollzieht sich nicht als Rückkehr auf ihren jemals im Topos der Gegenwart angeschauten wahren Inhalt, sondern als die schon geschilderte Erlösung, Er-innerung der Sprache aus ihrer Entfremdung in ihnen. Diese Rettung tut sich als eine Gewalt gegen die scheinbare Selbstidentität und Totalität der vorhandenen Sprachgebilde, da diese nicht einheitlich in die Konfiguration der Sprache eintreten, sondern mit jenen ihren Elementen, die sie als ihre eigenen erkannt hat; da die Sprachgebilde aufgeteilt werden müssen, um an der „ursprünglich“ von ihnen mitgeteilten, wahren Einheit der Sprache teilzunehmen. Die Darstellung der Phänomene in der Idee besagt nicht deren Erscheinung, Einverleibung in der Sprache, und ist doch kein bloßer, verstellender Schein. Sie sind da so, wie sie sind, indem sie gerade repräsentiert, substituiert sind. Das beruht darauf, dass ihr Inhalt etwas der Sprache Fremdes nicht als etwas Außersprachliches ist, auf dessen Abwesenheit sie verweise, an dessen Stelle sie stünde, sondern als das eigene Fremde der Sprache, als dessen Darstellung sie sich selbst allegorisiert, um sich selbst symbolisch darzustellen. Die wahre Sprache ist keine als Vorhandenheit anwesende, eine Stelle besetzende Repräsentation, vielmehr solche, die dem von ihr ersetzten eine Anwesenheit, eine Stelle erst recht überlässt. Immerhin bleibt diese Sprache mit dem erst am messianischen Ende der Geschichte wiederherzustellenden Wort Gottes nicht identisch, also – eine gemeine Allegorie.

Damit zur hier nachzuweisenden „Spiegelhaftigkeit“ der Geschichtsauffassungen der beiden Denker neue Striche hinzufügen, kann ein Umweg über den im Trauerspielbuch ausgeführten Begriff der Naturgeschichte gegangen werden, der ebenda auf den Allegorie-Begriff bezogen ist. Benjamin teilt mit Schmitt die Strategie der politischen Theologie mit, indem er die Form des Trauerspiels nicht als rein ästhetische, sondern als zur gegenwärtigen Gestaltungsform des Politischen in eine Analogie stehende auslegt, welche hinsichtlich der Artikulierung des metaphysisch-theologischen Horizonts der Epoche besteht. Er beruft sich auch auf Schmitts Souveränitätstheorie, die aber in eine andere Optik hineingezogen wird. Als die „hintere“, in ihrer Möglichkeit verhüllte Seite der von jeder Eschatologie abgewandten Bestrebung nach einer Erhaltung der irdischen Ordnung, wie Benjamin die Souveränität versteht, enthüllt sich der Verzicht auf eine Setzung der Erlösung als Telos der Geschichte, d.h. auf ihre Verstrickung in die sukzessive Zeit. Der Ausnahmezustand wird von der souveränen Entscheidung nur insoweit erschlossen, als der Normalzustand von seiner Verzögerung „lebt“. Er wird somit im Voraus in diesem eingeschlossen, indem er von ihm in seinem Ansich ausgeschlossen wird. Das hieße, dass die vom Souverän erzeugte Geschichte sich im Topos der Gegenwart als eine Subsumtion der Geschichtsinhalte unter die dort vorfindlichen Bedeutungen vollzieht. Sie ist eine Abfolge von sich als Ereignisse ausgebenden Platzierungen in einem Landschaft von Gegebenheiten, d.h. eine sich als Geschichte darstellende „Natur“. Das Einsetzen der Geschichtsinhalte in den im Jetzt-Topos bestehenden Normalzustand ist ihr Durcheinanderhäufen als im Vorhinein aus deren Stellen in der geschichtlich hervorzubringenden Schöpfungsordnung herausgebrochene. Während also die Geschehenisse der barocken Geschichte die scheinbare, kaleidoskopische Dynamik eines statischen und zerstreuten Inventars von Bedeutungen sind, ereignet sich die Geschichte, welche die Apokatastasis als Vorbild hat, als Erstarrung und Zerstreuung dieser Geschehenisse in simultan zusammengestellten Elementen einer sich unaufhörlich transformierenden Sprachkonfiguration, und dies besagt auch – als Wiederherstellung einer wahren „Natur“.

Schließlich ist Benjamins Umkehrung des klassizistischen Gegensatzes von Symbol und Allegorie nachzuvollziehen, bei der aber eine Stelle in neuem Zusammenhang nicht nur der reabilitierte Begriff der Allegorie findet, sondern auch der aus der Metaphysik der Präsenz herausgenommene Symbol-Begriff. Benjamin kritisiert die Auffassung, der Symbol sei die unmittelbare Erscheinung des Jenseitig-Allgemeinen im Diesseitig-Konkreten. Wenngleich die beiden vor der „Einverleibung“ des ersten im zweiten nicht vorhanden sind und deren Identität die Differenz von Transzendentem und Immanentem keinesfalls verwischt, wird doch das Jenseitig-Allgemeine als ein, sei es auch unerschöpfendes, seindes „Was“ gedacht, d.h. als ein Sinngehalt, und sein Medium – als seindes Ausdrucksmittel, also nicht als reine Form, vielmehr als die „sichtbare“, „stoffliche“ Form eines Inhalts. Nach Benjamin stellt sich nicht das Transzendent-Allgemeine im Immanent-Konkreten dar, sondern umgekehrt. Und mehr noch: jenes ist das in sich sich selbst darstellende Medium. Es tarnt sich in seinen einzelnen Teilen als Darstellung bestimmter Inhalte, um sich selbst als deren rein formalen Zusammenhang darzustellen. Da die in ihm dargestellten Inhalte durch eine ihm immanente Unterscheidung bestimmt sind, ist es in seinem „äußeren“, fragmentarischen, dinghaften Aspekt kein vorhandener Ausdruck, darin diese Inhalte hervortreten, sondern reine Verweisung, Spur. Die entscheidende Differenz zur von der klassizistischen Ästhetik diffamierten Allegorie besteht darin, dass die konkreten Gebilde nicht von ihrem eigenen Inhalt entleert werden, damit sie ein anderes bezeichnen, vielmehr gerade als Zeichen mit ihm ausgefüllt sind. Und das Transzendente wird durch sie nicht als ein abwesendes, doch vorhandenes Inhalt ersetzt, sondern ist eben als die Stelle da, welche deren Anwesenheit erst ermöglicht. Sie stellen seine verhüllte, getarnte Anwesenheit dar, die ihrerseits nur unter ihrem Inkognito in ihnen möglich ist. Es ließe sich zusammenfassen, dass für Benjamin „Symbol“ und „Allegorie“ zwei Aspekte der Sprache als das transzendente Ganze bezeichnen, welches sich selbst in der Konfiguration seiner etwas anderes darstellenden Teile darstellt. Die Sprache ist allegorisch in ihrem „äußeren“, fragmentarischen, inhaltlichen Aspekt und symbolisch in ihrem „inneren“, ganzheitlichen, formalen Aspekt. Sie symbolisiert sich selbst als die Zusammengehörigkeit ihrer Teile, indem sie die historischen Sprachgebilde allegorisiert, d.h. indem sie einzelne Stücke aus deren Zusammenhang herausbricht, um in ihnen seinen eigenen zu bezeichnen. Doch, wie gesagt, ist in Wahrheit gerade die Sprache der Ursprung jeglicher Geschichtsinhalte, jeweils das, was in ihnen sich selbst allegorisiert. Das allegorische Verhältnis zerbricht den vom bildlichen, plastischen Symbol erzeugten Anschein von der Totalität und Selbstidentität des Diesseitigen, d.h. von der Einverleibtheit des Jenseitigen im Diesseitigen und vom Jenseitigen als Sinn. Sein wesentlichstes Verdienst besteht aber darin, dass es, indem es die Vorhandenheit jeglicher Inhalte negiert, kund macht, dass es kein Sein außer der Sprache gibt, oder, was dasselbe heißt, dass die Annahme der Identität von Sprache und Sein die einzige Denkmöglichkeit bietet, das Sein nicht zu einer Natur erstarren zu lassen. Die Sprache ist also nicht etwas, was an der angeblichen Stelle der Gegenwart und in äußerlicher, „dienstlicher“ Beziehung zu einem vorhandenen, durch es ersetzten Inhalt steht, sondern dasjenige, was einem Inhalt, der den Charakter von Ereignis hat, eine Stelle erst recht überlässt, indem es sich selbst in dessen Repräsentation allegorisiert. Allerdings befindet sich die Identität von Sprache und Sein immer im Aufschub, weil die Sprache selbst erst am messianischen Ende der Geschichte mit ihrem eigenen Wesen identisch wäre.


Philosophia 1/2012, pp. 168-184